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Systementwicklungsstrategie (SES) 2024

Autor:innen: Luisa Keßler

Unsere Stellungnahme zur Systementwicklungsstrategie 2024 (SES)

Die vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) veröffentlichte Systementwicklungsstrategie (SES) 2024 stellt einen wichtigen Schritt zur langfristigen und sektorübergreifenden Planung der Energieinfrastrukturen dar – eine koordinierte Herangehensweise, die aus unserer Sicht dringend erforderlich ist. Eine Netzentwicklungsplanung auf Basis der SES, die zukünftige Energie- und Infrastrukturbedarfe samt Unsicherheitsfaktoren abbildet und eine strategische Vision zur Erreichung der Klimaziele formuliert, ist dringend notwendig. Wir begrüßen daher den sektorübergreifenden Ansatz und die Fokussierung auf Resilienz, Diversifizierung und eine emissionsfreie Energieversorgung sowie den klaren Fokus auf den Ausbau erneuerbarer Energien, die Stärkung der Netzinfrastruktur und die Rolle von Wasserstoff in schwer elektrifizierbaren Bereichen.

Allerdings fehlt es an einigen Stellen an einer realistischen Einordnung der Dimension der Herausforderungen und den daraus abzuleitenden strategischen Weichenstellungen. Teilweise bestehen enorme Unsicherheiten, beispielsweise in Bezug auf die Elektrifizierung der industriellen Prozesswärme. Es wäre wünschenswert, dass die SES – zumindest als „Kompass“ – eine Vision skizziert, anhand der sich der Handlungsspielraum  eröffnet. Nichtsdestotrotz ist der adaptiv-lernende Ansatz sinnvoll.

Die Abhängigkeit von kritischen Rohstoffen, der Fachkräftemangel sowie die Finanzierung der Transformation bleiben weitgehend unberücksichtigt. Hier wäre ein klarerer Realitätscheck vonnöten, um Planbarkeit und Investitionssicherheit zu gewährleisten. Statt als „Wunschkonzert“ sollte die Strategie stärker als Instrument der Realitätserfassung und Anpassung an sich verändernde Rahmenbedingungen dienen. Diese kritische Reflexion fehlt an einigen Stellen.

Ein weiterer wesentlicher Punkt betrifft die Infrastrukturplanung. Es stellt sich die strategische Frage, wie Strom-, Wasserstoff- und Wärmenetze besser aufeinander abgestimmt werden können, um Investitionskosten zu minimieren und den Infrastrukturausbau effizient und zügig voranzutreiben. Während die SES zu Recht einen erheblichen Ausbaubedarf der Stromnetze in Europa betont, um die Integration erneuerbarer Energien, den steigenden Strombedarf durch Elektrifizierung und die grenzüberschreitende Vernetzung zu ermöglichen, fehlt eine detailliertere Betrachtung von Synergien beim Ausbau neuer Infrastrukturen (z. B. für Wasserstoff, CO₂ oder Erdkabel). Ebenso wären klare Ausstiegsfahrpläne für Erdgasverteilnetze hilfreich, um kommunalen Entwicklungen mehr Planungssicherheit zu geben und die Wärmeplanung sinnvoll einzubinden.

Weitere zentrale Kritikpunkte und offene Fragen betreffen:

  1. Flexibilisierung des Stromsystems: Neben dem geplanten Ausbau von Wasserstoffspeichern und -infrastrukturen müssen auch industrielle Flexibilitätspotenziale, Lastmanagement und intelligente Netzintegration stärker berücksichtigt werden, um Netzengpässe zu vermeiden und Speicherkapazitäten kosteneffizient zu dimensionieren. Viele industrielle Prozesse bieten durch Lastverschiebungen, Prozessanpassungen oder den Einsatz flexibler Eigenerzeugung erhebliche Möglichkeiten zur Stabilisierung des Stromnetzes. Diese könnten dazu beitragen, den Bedarf an stationären Speichern zu reduzieren und gleichzeitig die Netzstabilität zu verbessern. Die SES sollte zudem deutlicher aufzeigen, wie der massive Netzausbau mit Flexibilitätsoptionen zusammengedacht werden kann, um kosteneffiziente Lösungen zu fördern und unnötige Überkapazitäten – z. B. im Hinblick auf regelbare Kraftwerksleistung – zu vermeiden.
  2. Wasserstoffwirtschaft: Während die SES ambitionierte Wasserstoffbedarfe prognostiziert, fehlen klare Antworten auf die Machbarkeit der heimischen Erzeugung sowie realistische Importstrategien. Es sollte stärker geprüft werden, inwiefern die geplanten Importmengen realistisch verfügbar sind und welche Wechselwirkungen mit der globalen Energiewende und der Rohstoffverfügbarkeit bestehen. Darauf aufbauend könnte sich die Notwendigkeit ergeben, die Wasserstoffnachfrage auf ein realistischeres Maß zu begrenzen. Eine klare Einordnung der energie- und ressourcenbezogenen Herausforderungen ist entscheidend, um tragfähige Transformationspfade zu entwickeln.
  3. Erhalt der Industriestruktur: Die SES postuliert, dass die Infrastrukturplanung auf einen Energiebedarf ausgelegt werden soll, der den Erhalt der aktuell bestehenden Industriestruktur sicherstellt. Dies halten wir für unrealistisch, insbesondere in der energieintensiven Grundstoffindustrie. Trotz Effizienzsteigerungen und Kreislaufwirtschaft dürfte es schwer sein, die heutigen Produktionskapazitäten auf nachhaltige Weise aufrechtzuerhalten. Der enorme Energiebedarf – insbesondere für Wasserstoff – macht deutlich, dass ein vollständiger Erhalt der bestehenden Struktur weder ökologisch noch ökonomisch nachhaltig ist. Wir plädieren daher für den Erhalt der Industriestruktur in einem Umfang, der aus sozio-ökonomischen und Resilienzgründen erforderlich ist, während gleichzeitig strukturelle Anpassungen ermöglicht werden.

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