In Brüssel findet derzeit die Überarbeitung der Energy Performance of Buildings Directive (EPBD) statt. Die EPBD ist die Rechtsgrundlage für Energieeffizienzstandards in Gebäuden. Das Thema, dem schon lange eine Bedeutung für den Klimaschutz eingeräumt wird, ist in der derzeitigen Energiekostenkrise umso relevanter geworden. Doch die energiebedingten Emissionen stellen nur einen, wenngleich bedeutenden Anteil der Gesamtemissionen im Gebäudesektor dar. Teil der Umwelt- und Klimabilanz eines Gebäudes sind u.a. auch die Emissionen, die bereits bei der Herstellung von Baumaterialien sowie beim Bau, der Instandhaltung und Abriss von Gebäuden entstehen. Sogenanntes Embodied Carbon, also verkörperter Kohlenstoff oder graue Energie ist ein essenzieller Bestandteil der Gesamtemissionen eines Gebäudes (siehe Abbildung 1).
In der derzeitigen Debatte in Brüssel geht es darum, ob und wie Embodied Carbon in die EPBD integriert wird. Derzeit sind Grenzwerte, bzw. Mindestwerte für den Einsatz „grüner“, also weniger CO2 intensiver Baustoffe, im Gespräch. Hier wird es wichtig, sowohl den ambitionierten Zeitrahmen als auch einen Mechanismus umzusetzen, der neben jetzigen Best-Practices auch transformative, neue Prozesse und deren Produkte incentiviert. Denn hier besteht das große Potenzial: Durch den Einbezug des CO2-Fußabdrucks von Materialien entstehen Anreize auf Seiten der Bauunternehmen und Auftragsgeber, klimaschonender zu bauen und somit steigt die Nachfrage nach grüneren Produkten.
Abbildung 1 Gesamtemissionen? (WLC) - embodied und betriebliche Emissionen - eines Gebäudes. Quelle: WorldGBC, Bringing embodied carbon upfront (2019).
Als Teil unseres ‚Klimaschutz in der Industrie‘-Programms ist Bellona über unser Brüsseler Büro direkt in den EU-Politikalltag integriert. Doch die Debatte um Embodied Carbon im EPBD ist auch für unsere Arbeit in Berlin äußert relevant. Hier ist das Gebäudeenergiegesetz (GEG) in weiten Teilen die Umsetzung der EPBD. Für den Umwelt- und Klimaschutz wäre eine Ausweitung ein enorm wichtiger Schritt und ein starkes Signal – auch an die Bauwirtschaft, die für die Produkte ihrer eigenen Transformation zur Klimaneutralität dann einen Markt sehen können.
Die Schaffung von grünen Leitmärkten in Deutschland ist daher für Bellona zeitgleich zum Politikprozess rund um EU-Standardisierung ein wichtiger erster Schritt. Mit unserer Arbeit zu grünem Zement und alternativen Baumaterialien wollen wir z.B. durch einen behörden- und firmeninternen Mindestanteil an emissionsarmen Produkten in der Beschaffung die Ziele der EPBD auf kleinerer Ebene vorziehen. Vorzeigeprojekte und -maßnahmen könnten so schon jetzt die Anreize schaffen, die auf EU-Ebene vorbereitet und mittelfristig Standard werden sollen. Gleichzeitig zeigen wir, dass schon heute die Materialien und Wege existieren, klimaschonender zu bauen und können mit den Ergebnissen aus den Leitmärkten rückwirkend den Politikprozess in Brüssel und Berlin konstruktiv beeinflussen.
Die Basis: Was ist „grün“?
Eine Integration der produktionsverbundenen Emissionen von Baumaterialien erfordert im ersten Schritt klare Rahmenbedingungen für die Definition, CO2-Berechnung und damit der Zertifizierung von „grünen“ Materialien. Eine wichtige Rolle auf europäische Ebene kommt hier der Construction Products Regulation (CPR) zu. Die CPR gibt den Standard zur Vermarktung Baumaterialien vor, sodass Kunden zuverlässige Bewertungen der Leistungen von Produkten unterschiedlicher Hersteller vorliegen. So soll der Wettbewerb gesichert und gleichzeitig die Einhaltung der Struktur- und Sicherheitsverordnungen des Baugewerbes garantiert werden. Auch die CPR befindet sich derzeit im Revisionsprozess und ist mit der Ausweitung auch auf den CO2-Fußabdruck der Materialien betraut. Neben den technischen Eigenschaften kann hier also auch bald der CO2-Fußabdruck von Baumaterialien vergleichbar gemacht werden. In der EU gibt es jedoch schon eine Verordnung, welche die Umweltbilanz von Produkten reguliert: die Eco-Design for Sustainable Products Regulation (ESPR). Wichtig ist hier, dass die CPR die ESPR komplementiert und nicht reproduziert.
Denn eines ist klar: Ein Standadisierungsprozess wie dieser, mit der Involvierung von Delegated Acts (delegierten Rechstakte) wird Zeit in Anspruch nehmen. Zeit, die wir eigentlich nicht haben, um zum einen sicherzustellen, dass jedes Haus, das heute gebaut wird, nicht einen hohen CO2-Fußabdruck verkörpert. Zum anderen aber auch, um jetzt schon die wichtigen Anreize eines Markts zu schaffen, der die Dekarbonisierung von Baumaterialien und neue Innovationen in der Projektplanung voranbringt. Daher darf dieser Prozess nicht unnötig in die Länge gezogen werden. Für die jetzt schon vorzubereitenden Leitmärkte gilt es, existierende wissenschaftsbasierte CO2-Bilanzierungen umzusetzen, die dann auch Referenz für die Entscheidung einer offiziellen Whole Life Cycle Analyse (WLCA) auf regulatorischer Ebene werden kann.
Wie ist der Stand in Deutschland?
Das schon erwähnte Gebäudeenergiegesetz (GEG) umfasst hierzulande die ehemalige Energieeinsparverordnung (EnEV), das Energieeinsparungsgesetz (EnEG) und das EEWärmeG (Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz). Das GEG regelt damit die gesetzlich erforderlichen, energetischen Anforderungen an Gebäude und legt die Berechnungsverfahren für die relevanten öffentlich-rechtlichen Nachweise fest. Wie auch in der EPBD lag der regulatorische Fokus bisher auf den operativen Emissionen des Energieverbrauchs während der Lebensdauer eines Gebäudes. Mittelfristig würden aber auch die potenziellen Ziele zu Embodied Carbon aus der EPBD ihren Weg in das deutsche GEG finden.
Gleichzeitig gibt es seit 2021 ein Förderprogramm als Teil der Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG) mit einem dazugehörigen ‚Qualitätssiegel Nachhaltiges Gebäude‘ (QNG). Seit April 2022 sind ergänzende QNG-Anforderungen in Kraft getreten. Hierzu gehören ökologische Anforderungen für den Nachweis zu globalen Umweltwirkungen, Ressourcen Inanspruchnahme, und nachhaltige Materialgewinnung.
Die derzeitige Emissionsbilanzierung basiert auf existierenden ISO- und DIN-Normen, und umfasst eine Vielzahl der Embodied Carbon Aspekten (s. Abbildung 2). Neben den für das Siegel relevanten Bilanzierungspunkten (fett gedruckt) müssen auch die Recyclingpotenziale und die Effekte exportierter Energie angegeben werden. Diese fließen allerdings nicht unmittelbar in die Bewertung mit ein. Berücksichtigt werden alle Baumaterialien mit einem Anteil von 1% und mehr in der gesamten Masse des Gebäudes. Als Basis der Bilanzierung dienen die in der vom BMWSB angelegten Datenbank ÖKOBAUDAT hinterlegten Datensätze. Diese basiert ihre Wertung auf Basis existierender Standards unter der Environmental Product Declaration (EPD, ISO 14025) von relevanten Bauprodukten (DIN EN 15804). Bei erbrachten Nachweisen werden abschließend Nachhaltigkeitssiegel (QNG) in PLUS (unter 28kg CO2äq/ m2) und PREMIUM (unter 20kg CO2äq/ m2) für die Gesamtlebenszyklusemissionen von lizensierten Zertifizierungsstellen vergeben.
Abbildung 2 Darstellung der Lebenszyklusphase gemäß DIN EN 15978-1, Quelle: BMWSB, https://www.nachhaltigesbauen.de/fileadmin/pdf/QNG-BEG/QNG_GMS_311_Anlage_3_LCA_Bilanzregeln_Wohngeb%C3%A4ude_210625.pdf
2023: Das Jahr für Embodied Carbon und Leitmärkte?
Die EU plant, die EPBD-Revision Anfang 2023 zu finalisieren. Gleichzeitig führt das Parlament die Debatte zur CPR, um hier möglichst bis Ende des Jahres zu einem Ergebnis zu kommen. Der entscheidende Schritt besteht darin, sicherzustellen, dass die EPBD eine klare Verpflichtung und einen Weg für die Einbeziehung von Embodied Carbon beibehält. Damit erhält die CPR einen ebenso klaren Auftrag, den CO2-Fußabdruck von Baustoffen zum Wettbewerbsvorteil zu machen. Beide Regularien haben das Potenzial, ein klares Signal an die Mitgliedsstaaten wie Deutschland zu senden, in denen Bauvorschriften und -ordnungen eine bedeutende Eintrittsbarriere für umweltfreundlichere Materialien und eine größere Materialeffizienz bleiben.
Auf Bundesebene soll im Frühjahr 2023 das Förderprogramm „Klimafreundliches Bauen“ beginnen. Hier werden pro Jahr 1 Milliarde Euro von der staatlichen Förderbank KfW für Neubauten bereitgestellt, allerdings nur für Wohneigentum mit QNG-Zertifizierung, mit der die Treibhausgasemissionen der Materialien weiter in den Vordergrund rücken sollen. Grundsätzlich fällt das Budget hier allerdings gering aus. Zum Vergleich: Allein im ersten Halbjahr 2022 hat die KfW Neubauförderanträge im Wert von über 10 Milliarden bewilligt. Auch gibt es weiterhin Herausforderungen mit dem jetzigen QNG-Zertifizierungs- und Fördersystem z.B. in Form von Defiziten der derzeitigen Emissionsnachweise und einer fast undurchdringbaren Bürokratie.
Neben einem bewussteren Planen und Bauen sind die klimaschonenden Materialien essenziell. Dass diese ermöglicht und weiterentwickelt werden und auf den Markt kommen können, ist unabdingbar für eine erfolgreiche Transformation der Gebäudebranche. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) wird im ersten Quartal 2023 Klimaschutzverträge vorstellen. Auch wird ein Stakeholderdialog für die geplante Carbon Management Strategie beginnen. Sowohl die Förderung innovativer Prozessumstellungen zum Erreichen der Klimaneutralität als auch die Diskussion um wichtige Technologien für die Zementbranche wie Carbon Capture and Storage (CCS) sind dringend notwendige Hebel, das Angebot von klimaneutralen Baumaterialien auszuweiten, bzw. überhaupt zu ermöglichen. Gleichzeitig beschäftigt sich das BMWK mit der Angebotsseite des Marktes. Ein Stakeholderdialog zum Thema Leitmärkte für Produkte der Grundstoffindustrien wie Stahl und Zement soll 2023 den Grundstein für Marktanreize von grünen Materialien, auch für den Bausektor, legen. Bellona Deutschland wird an beiden Dialogen teilnehmen. Damit hoffen wir, in Berlin die Weichen für eine zielorientierte Klimapolitik in der Bauindustrie zu stellen.