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Thema verfehlt – Die Kraftwerksstrategie scheitert in ihrem Grundansatz. Was es braucht, ist eine ganzheitliche Flexibilisierungs- und Systemstrategie

: Februar 12, 2024

: Luisa Keßler, Dr. Jan-Justus Andreas, Dr. Georg Kobiela

Die Kraftwerksstrategie geht in ihre Schlussphase und liegt derzeit zur Beratung der EU-Kommission vor. Demnach soll es nach Informationen aus dem BMWK noch zu einer öffentlichen Konsultation kommen. Dies ist auch dringend notwendig, denn die beschriebenen Eckpunkte der Strategie geben in ihren Prämissen und Konsequenzen genügend Anlass zur Sorge. Dies betrifft nicht nur den Stromsektor, sondern die gesamte Klimatransformation.

Eine Kraftwerksstrategie, die zu dem Ergebnis kommt, mehr Kraftwerke zu bauen, ist nicht unbedingt überraschend. Hierin aber liegt das Grundproblem: Dass die Bundesregierung eben eine Kraftwerksstrategie und keine System- oder Flexibilisierungsstrategie auf den Weg gebracht hat. Die Perspektive, diese Kraftwerke langfristig mit grünem Wasserstoff statt mit fossilem Erdgas zu betreiben, verspricht theoretisch ein vollständig erneuerbares Stromsystem. Problematisch ist jedoch das nahezu naive Vertrauen in die Verfügbarkeit eines Energieträgers (nicht einer Energiequelle!) in der notwendigen Größenordnung und zu wirtschaftlichen Preisen.

Eine logische Folge dieser im Grundansatz fehlerhaften Strategie ist die unglückliche und unnötige Diskussion um CCS an Gaskraftwerken. Dass CCS im Stromsektor auf einmal als Garant für eine robustere und klimaneutrale Strategie erscheint, liegt vor allem an der risikobehafteten und enorm kostspieligen Abhängigkeit von Wasserstoff, die aus der Strategie hervorgeht. Diese scheint alle fundamentalen und inzwischen längst bekannten Herausforderungen einer deutschen Wasserstoffwirtschaft zu ignorieren.

Damit untergräbt die Kraftwerksstrategie zugleich auch einen mittlerweile viele Monate währenden und bisher die gesellschaftliche Akzeptanz fördernden Beteiligungsprozess zum systemdienlichen, fokussierten Einsatz von CCS für Industrieemissionen. Insbesondere die angestrebte Evaluierung der von Stakeholdern unterschiedlich bewerteten Notwendigkeit eines Einsatzes von CCS an Gaskraftwerken in der Carbon Management Strategie (CMS) besitzt das Potenzial, den entstehenden Konsens für CCS in Industrieanwendungen zu unterminieren und zu weiteren Verzögerungen beim dringend benötigten schnellen Hochlauf von CCS in der Industrie zu führen. Der Einsatz von CCS für anderweitig schwer vermeidbare Industrieemissionen ist auch dadurch motiviert, dass beim Einsatz von Wasserstoff zentrale Verfügbarkeitsfragen und ökonomischen Risiken verbleiben. Wenn also bereits in der Industrietransformation die Knappheit und die Kosten von Wasserstoff dazu führen, dass CCS als Brücke z.B. für den Stahlsektor in Betracht gezogen wird und mangels Alternativen eine Debatte über blauen Wasserstoff vom Zaun bricht, dann ist es grob fahrlässig, wenn die Bundesregierung einen weiteren strategisch wichtigen Großverbraucher in den Wettbewerb um Wasserstoff schickt. Damit wird die wirtschaftliche Transformation grundsätzlich gefährdet, denn schon jetzt steht Deutschland vor einer riesigen Lücke zwischen Bedarf und Angebot von Wasserstoff auf absehbare Zeit.

«Die tatsächliche Konsequenz der Strategie ist höchstwahrscheinlich ein langfristiger Einsatz von Erdgas, samt des damit verbundenen fossilen Lock-ins. Statt auf Pipelines und Kraftwerken sollte der Fokus auf Kabeln und Speichern liegen.»

Luisa Keßler

Referentin Nachhaltige Wasserstoffwirtschaft

Bis zum Jahr 2030 plant die Bundesregierung, wie seit Januar 2023 im Erneuerbare-Energien-Gesetz festgelegt, mindestens 80 Prozent des Bruttostromverbrauchs durch Erneuerbaren Energien zu decken. Damit einher geht eine erhöhte Volatilität der Stromversorgung, da sogenannte Dunkelflauten einen proportional höheren Einfluss auf das Stromangebot haben. Ein zunehmend dezentrales und von Erneuerbaren dominiertes Stromnetz steht damit vor neuen Herausforderungen. Darin liegt aber auch die Chance, neue Wege der Versorgungssicherheit und Flexibilisierung zu entwickeln, die eben nicht zwangsläufig auf dem alten kraftwerkzentrierten Stromsystem beruhen.

Dieser Ansatz erfordert zum einen Innovationen, z.B. bei Stromspeichern und der Rolle von Batterien, Smart Grids und Wärmespeichern. Er erfordert auch ein grundsätzliches Umdenken im Strommarktdesign, das nicht nur die Frage eines Kapazitätsmarktes betrifft. Notwendig sind aber auch altbekannte Maßnahmen wie ein ambitionierterer EE- und Netzausbau sowie der Ausbau der grenzüberschreitenden Interkonnektoren. Denn je integrierter das europäische Netz ist, desto höher ist die Ausgleichskapazität für die Schwankungen von Erneuerbaren und desto geringer der Bedarf an teuren und ineffizienten Spitzenlastkraftwerken.

Eine Strategie zur Umsetzung dieser erhöhten Ambitionen, z.B. durch mehr Förderung und Bürokratieabbau, eine EU-weite Koordination des europäischen Stromnetzes und direkte Partnerschaften mit potenziellen Stromexporteuren, wie Norwegen und Schweden, mithilfe eines klaren Auftrags zur Umstrukturierung des Strommarktes wäre eine vernünftige Grundlage für die anstehende Transformation. Ohne einen solchen zielorientierten Fahrplan jetzt die in ihrem Umfang unbekannten notwendigen Gaskraftwerke – die vielleicht irgendwann mit Wasserstoff laufen – planen und finanzieren zu wollen, ignoriert parallele Entwicklungen sowie eine Reihe unbeantworteter Fragen und führt zu Opportunitätskosten.

Viele Fragen und Risiken bleiben ungeklärt

Die Kernfrage bei den Plänen der Bundesregierung ist, wie viel Kapazität tatsächlich benötigt wird und wo diese Kraftwerke gebaut werden sollen. Eine ehrliche Antwort darauf gibt es derzeit nicht, da unklar ist, welche weiteren Maßnahmen noch umgesetzt werden. Ebenso wenig ist klar, welche Fortschritte es in der Dezentralisierung und der Stromspeicherung mit Batterien geben wird. Die Pläne der Bundesregierung „kurzfristig“ 10 GW an wasserstofffähigen Gaskraftwerke auszuschreiben, basieren auf den aktuellen Plänen, die längst nicht ausreichen, um die Klimaziele bis 2045 zu erreichen. Die Größenordnung erscheint daher eher finanziell motiviert als systemorientiert. Denn die massiven Kürzungen des Klimatransformationsfonds (KTF) im zweistelligen Milliardenbereich lassen größere Investitionen derzeit gar nicht zu.

Damit verbunden ist die Frage, wie viel Wasserstoff somit nicht nur produziert und transportiert, sondern auch strategisch über das Netz verteilt und gespeichert werden muss – und zu welchem Preis. Es ist wahrscheinlich, dass entgegen der politischen Wunschvorstellungen ein großer Teil dieses Bedarfs entweder durch blauen Wasserstoff gedeckt wird oder der Betrieb mit Erdgas deutlich verlängert wird. Daher stellt sich schon heute die Frage, an welcher Stelle der Kette der Einsatz von CCS am sinnvollsten ist. Am sinnvollsten wäre es jedoch, sich dieser Frage nach dem kleineren Übel gar nicht erst aussetzen zu müssen, indem der strategische Fokus auf die Vermeidung der Notwendigkeit dieser Kraftwerke gelegt wird.

Neben diesen grundsätzlichen Fragen gibt es eine Reihe weiterer Herausforderungen. Die technische Realisierbarkeit von Turbinen für den hundertprozentigen Wasserstoffbetrieb ist derzeit noch nicht hinreichend sichergestellt, ganz zu schweigen von den Kapazitäten im Anlagenbau. Die Wasserstoffkraftwerke stellen eine zusätzliche große Herausforderung für den Wasserstoff-Backbone dar. Wer Wasserstoff auf der Basis eines schleppenden Netzausbaus favorisiert, wird spätestens beim Pipeline- und Speicherbau auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Der Erzeugungspreis von Strom aus (knappem) grünem Wasserstoff wird ein Vielfaches der heutigen Erzeugungskosten betragen und kann daher nur über Umlagen und entsprechende Verteuerungen realisiert werden. Der zu erwartende Schutz z.B. der energieintensiven Industrie durch Ausnahmeregelungen wird die Belastung der Verbraucher durch die Umlage erhöhen.

Es steht viel auf dem Spiel

Darüber hinaus ist der geplante Einsatz von Wasserstoff sowohl im Strom- als auch im Wärmesektor mit erheblichen Opportunitätskosten verbunden, die durch den ineffizienten Einsatz von Wasserstoff bei existierenden Alternativen noch gesteigert werden. Mangelndes Vertrauen in die Versorgungssicherheit und die Erwartung hoher Energiekosten können zu einer Verlangsamung des industriellen Wandels in Deutschland und im schlimmsten Fall zur Abwanderung energieintensiver Branchen führen.

So birgt der weiterhin auf Erdgas-als-Brücke setzende Ansatz der Bundesregierung aufgrund der weitreichenden Abhängigkeit von Importen elementare ökonomische, aber auch geopolitische Risiken. Eine Volkswirtschaft, die nicht nur in Teilen der Industrie, sondern nach Regierungsplänen auch im Strom- und Wärmesektor abhängig wird von idealerweise global gehandeltem Wasserstoff, der auch in anderen Ländern gefragt ist, wird auch abhängig von diesen globalen Handels- und Preisdynamiken.

Eine Gefahr liegt auch darin, dass auf Basis des H2-Ready-Narrativs die Verantwortung des tatsächlichen Handelns in die Zukunft vertagt wird und zugleich die wahren Kosten der neuen Kraftwerke verschleiert werden. Die auf das Jahr 2032 verschobene Detailfrage, wann eine Verpflichtung zur Umstellung zu Wasserstoff eintritt, ist zum Einen verständlich: Es ist unbekannt, wann und ob der Wasserstoff verfügbar sein wird. Gleichzeitig öffnet sie den Betreibern aber auch die Tür, sich zu diesem Zeitpunkt wieder aus der Schlinge ziehen zu können – z.B. wenn nicht die erhoffte Menge Wasserstoff zum erhofften Preis durch eine hoffentlich errichtete Infrastruktur zu den Kraftwerken geliefert wird, die hoffentlich 100 Prozent Wasserstoff verbrennen können. Grundsätzlich muss unabhängig vom Kraftwerkskonzept das Kraftwerk von vornherein so ausgelegt sein, dass der Treibhausgasausstoß sicher minimiert wird. Das erfordert weitere Investitionen auch außerhalb des unmittelbaren Kraftwerkes. Auch diese müssen in der Kalkulation der physisch und ökonomisch besten Lösung berücksichtigt werden. Es ist zu erwarten, dass der Fokus auf die Systemintegration von Erneuerbaren, z.B. durch Netzausbau und Stromspeicher, die insgesamt günstigere Option ist.

Eine Gefahr ist auch, dass ein stark verknappter weltweiter Markt für grünen Wasserstoff  zu einer Aufweichung der Nachhaltigkeits- und Zusätzlichkeits-Kriterien führen kann und Erzeugerländer im Globalen Süden in gefährliche Abhängigkeiten bis hin zur Stärkung neokolonialer Strukturen bringt. Der erhöhte Erdgasbedarf durch die zunächst und ggf. auf deutlich längere Zeit mit fossilem Erdgas betriebenen neuen Kraftwerke erhöht den Druck, neue fossile Gasvorkommen zu erschließen. Dies zeigt sich in den Bestrebungen nach einer für den deutschen Bedarf aufgebauten Erdgaswirtschaft im Senegal, der hochproblematischen Diskussion um Erdgasförderung in der norwegischen Arktis, den erhöhten durch Fracking bereitgestellten LNG-Mengen aus Nordamerika und den durch Verlagerungseffekte erzeugten Absatzmöglichkeiten für russisches Erdgas. Auch bei der Erzeugung von grünem Wasserstoff in zentralisierten, exportorientierten Großanlagen können ähnliche Systematiken des Ressourcenfluchs greifen, wie sie bei der Förderung von Öl, Gas und anderen Rohstoffen zu beobachten sind.

Wie kann die Bundesregierung noch umsteuern?

Aufgrund dieser Bedenken fordert Bellona die vorliegende Kraftwerksstrategie in eine ganzheitlichere Strategie zur Flexibilisierung des Stromsystems auszuweiten oder einzubetten, welche vornehmlich die Nutzung und Intensivierung der bereits heute garantiert verfügbaren, zukunftssicheren und v.a. effizienteren Flexibilisierungsoptionen in den Fokus rückt. Dazu gehören Optionen, wie die verbraucherseitige Nachfragesteuerung, der Stromnetzausbau und dessen Digitalisierung sowie alternative Speichertechnologien. Eine solche Strategie sollte aufgrund der sich stetig verändernden technologischen und gesamtsystemischen Entwicklungen in jeder Legislaturperiode aktualisiert werden.

Wir halten das oft angebrachte Argument – der Ausbau intelligenter Stromnetze verlaufe zu schleppend, weshalb nun auf wasserstofffähige Gaskraftwerke gesetzt werden müsse –  für in gefährlicher Art zu kurz gedacht. Die logische Schlussfolgerung muss aus unserer Sicht sein, finanziell und politisch verstärkt in den Netzausbau zu investieren, anstatt massiv auf weniger energieeffiziente und im Zweifelsfall fossile Back-up-Optionen zu setzen.

Ohne eine ganzheitlichere Strategie, in der die Rückverstromung von Wasserstoff vielmehr als letztes Flexibilisierungsmittel der Wahl begriffen wird, anstatt zentral auf diese risikoreiche und möglicherweise unrealistische Flexibilisierungsoption zu setzen, könnte Deutschland ein böses Erwachen erleben.