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Warum ein No-Regret-Anspruch das Leitbild der Nationalen Wasserstoffstrategie sein sollte

: Juli 26, 2023

: Luisa Keßler

Das Bundeskabinett hat sich nun heute noch vor der Sommerpause mit der Fortschreibung der Nationalen Wasserstoffstrategie (NWS) befasst und das Papier einer zeitnahen Veröffentlichung einen Schritt nähergebracht.  

Der Entwurf setzt in vielen Teilen zentrale Impulse für Systemeffizienz und verweist auf priorisierte Wasserstoffanwendungen und die notwendige Einhaltung unerlässlicher Nachhaltigkeitskriterien für die Produktion in Deutschland und die Importstrategie, die lokalen Klima- und Umweltschutz nicht konterkarieren sollte. Hier steht und fällt der Erfolg der NWS mit der konkreten Ausgestaltung in der Praxis. Einige Stellen der NWS 2.0 tragen nicht dazu bei, klare Grundlagen für den Hochlauf einer nachhaltigen Wasserstoffwirtschaft zu schaffen, bei der der Klimanutzen oberste Priorität hat.  

No-Regret: Leitbild für Anwendungen, Infrastruktur und Importstrategie  

Ob Anwendungsfelder, Infrastruktur oder Importstrategie: Beim Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft sollte ein No-Regret-Anspruch unbedingt im Vordergrund stehen und Entscheidungen leiten. Es geht nicht darum, eine möglichst große Wasserstoffwirtschaft zu schaffen, sondern den Einsatz am Klimanutzen auszurichten.  

Priorisierung der Anwendungen 

Wasserstoff wird in naher Zukunft eine rare Ressource bleiben. Eine Priorisierung für Anwendungsfelder, die keine Alternative zur Dekarbonisierung haben, ist daher zwingend erforderlich. 

Nur der zielgerichtete und sinnvoll begrenzte Einsatz von Wasserstoff ebnet den Weg in ein energieeffizientes Deutschland. 

Die Bundesregierung bekennt sich in der Strategie dazu, dass Wasserstoff v.a. in der Industrie eingesetzt werden soll. Andere Sektoren und Anwendungsbereiche, die diese Priorisierung gefährden, haben jedoch ebenfalls ihren Weg in die Strategie gefunden.  

Gebäudewärme: Systemisch betrachtet ist die Gebäudewärme gewissermaßen das Paradebeispiel eines Regret-Sektors für eine direkte Anwendung von Wasserstoff – voraussichtlich auch nach 2030. Weitaus effizientere Dekarbonisierungsoptionen, allen voran elektrische Wärmepumpen, stehen zur Verfügung. Sofern Energie- und Kosteneffizienz angestrebt wird, sollte die Wasserstoffwirtschaft lediglich indirekt zur Wärmebereitstellung in Gebäuden, beispielsweise durch die Nutzung der Abwärme aus Elektrolyseuren, beitragen. 

Verkehr: Wasserstoffbasierte Kraftstoffe sollten unbedingt auf den Schiffs- und Luftverkehr begrenzt bleiben. Eine im Strategieentwurf anvisierte „direkte Nutzung in verschiedenen Brennstoffzellen-Fahrzeugen“ ist zu vage und lädt ein, auch PKW in großem Stil mit Wasserstoff zu betanken. In PKW ist die direkte Nutzung von Strom aus erneuerbaren Quellen einer Betankung mit Wasserstoff oder gar E-Fuels aus Energieeffizienz-Gründen bei Weitem vorzuziehen. E-Autos bieten auch systemisch betrachtet ein weitaus größeres Potenzial, Treibhausgasemissionen einzusparen. Der angekündigte Masterplan für Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie im Verkehr sollten dem unbedingt Rechnung tragen.  

Strom: Wasserstoff wird laut Plänen der Bundesregierung im zukünftigen Energiesystem eine zentrale Rolle spielen, um die volatile Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien zu komplementieren. Das angekündigte Konzept für Wasserstoffspeicher sollte ebenfalls unbedingt dem No-Regret-Leitbild folgen. Aufgrund enormer Energieverluste sollte eine Rückverstromung von Wasserstoff nur in absolut nötigem Umfang in Betracht gezogen werden. Dies gilt insbesondere für eine Rückverstromung in Gaskraftwerken und deren großangelegten Erhalt und Neubau zu genau diesem Zweck. Vorrang sollte soweit möglich immer die direkte Nutzung jedes (durch Erneuerbare erzeugten) Elektrons haben. Dafür jetzt unbedingt mit oberster Priorität und voller Kraft der Netzausbau angegangen werden.  

Infrastruktur im nötigen Umfang 

Auch die Infrastruktur muss mit einem No-Regret-Anspruch geplant werden. Wir begrüßen, dass eine „eng abgestimmte sektorübergreifende Planung zwischen Strom-, Gas-, Wasserstoff-, Verkehrs- und Wärmenetzen“ erfolgen soll.  

Das Erdgasverteilnetz kann in diesem Sinne nur in sehr geringem Umfang als Blaupause für ein zukünftiges Wasserstoffnetz dienen. Um eine Umrüstung von Erdgasleitungen im nötigen und nicht etwa größtmöglichen Umfang sicherzustellen, bedarf es einer möglichst unabhängigen Governance beider Infrastrukturen. Wir fordern sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene eine transparente Infrastrukturplanung unter der Federführung von unabhängigen Entitäten. Leider wurde der Vorschlag einer Wasserstoffnetzgesellschaft, deren Aufgabe und Interesse ausschließlich in der Planung eines kosteneffizienten und angemessenen Ausbaus der Wasserstoffinfrastruktur frei von Interessenskonflikten bestanden hätte, vorschnell im Keim erstickt.   

Importstrategie: Hierarchie und Nachhaltigkeitskriterien müssen über Zweckmäßigkeit entscheiden 

Die NWS legt einen Fokus auf die Importstrategie. Auch hier gibt es klimapolitisch notwendige Priorisierungen und Bedingungen für Produktion und Transport, die die Grenzen zwischen No-Regret und Regret definieren. Dass Deutschland Importe in einem nicht unerheblichen Maße braucht und Pipelines der bevorzugte Transportmodus sind, ist unbestritten. Wasserstoff ist so nicht auf Kohlenstoff als Transportmedium, enorm kalte Temperaturen oder gigantische Druckluftbehälter angewiesen. Folglich sollte eine Importhierarchie ausgearbeitet werden, die den pipelinegebundenen Import aus europäischen Nachbarländern und Anrainerstaaten, Schiffsimporten von Wasserstoffderivaten aus fernen Ländern vorzieht, auch wenn auch dort noch Fragen zu klären sind. Für schiffsbasierte Ammoniakimporte gilt es in der Ausarbeitung der Importstrategie zu beachten, dass dieser im Idealfall prioritär die hiesige Nachfrage nach grünem Ammoniak abdeckt, anstatt unter erheblichen Energieverlusten den Wasserstoff in Ammoniak-Crackern wieder abzuspalten.  

Unter diesen Prämissen und vor dem Hintergrund eines klimapolitisch gefloppten LNG-Beschleunigungsgesetzes stehen wir dem angekündigte Wasserstoffbeschleunigungsgesetz mit Fokus auf dem Ausbau von Wasserstoffimportterminals und der nationalen Hafenstrategie zunächst skeptisch gegenüber. Beim Ausbau bzw. der Umrüstung von sogenannten „H2-ready“-Terminals sollten Lehren aus vergangenen Fehlern – wie der Schaffung von Überkapazitäten über nötige Redundanzen hinaus – gezogen werden. In diesem Zusammenhang fordern wir, „H2-ready“ zukünftig konkret für die einzelnen Anwendungsbereiche zu definieren und nicht als leere Phrase zu verwenden 

Wir hoffen, dass die Bundesregierung die im Entwurf angekündigten Nachhaltigkeitsmaßnahmen, wie nachhaltige Transportwege mit grünen Kraftstoffen, Good Governance Standards, Zertifizierungssysteme, Wassermanagementstrategien, die Sicherstellung lokaler Wertschöpfung und insbesondere das Voranbringen lokaler Energiewenden und Energieversorgung, in der Importstrategie für Wasserstoff und Wasserstoffderivate ambitioniert und detailliert ausarbeitet. Darüber hinaus bleibt auf Basis der Importstrategie sicherzustellen, dass die Emissionen entlang der gesamten Wertschöpfungskette und insbesondere die Emissionen des Transports verpflichtend geprüft und überwacht werden. Wir begrüßen die Absicht, eine möglichst einheitliche Standardisierung und Zertifizierung auch über Europa hinaus, vorantreiben zu wollen. Hier sehen wir insbesondere im Zuge der Weiterentwicklung von Fördermechanismen wie H2Global große Potenziale. Gleichzeitig sollten die im Delegierten Rechtsakt auch auf Importe ausgeweiteten Good Governance-Standards für grünen Wasserstoff weiter gehen als sie es in Europa tun, indem z.B. keine Übergangszeit für das Additionalitätprinzip akzeptiert wird, um den genannten Mehrwert für die Energiewende und die Menschen in den jeweiligen Regionen sicherzustellen. 

Entwurf schafft systemisch sinnvolle Grundlage für die Wasserstoffproduktion – nun kommt es auf die konkrete Ausgestaltung an 

Bellona Deutschland unterstreicht den Anspruch, inländische Elektrolysekapazitäten mit dem Ausbau Erneuerbarer und einem zusätzlichen, grenzüberschreitenden Netzausbau zu flankieren. Wir sind überzeugt, dass nur durch eine systemdienliche Elektrolyse, die insbesondere dem Prinzip der Additionalität gerecht wird, negative Umwelt- und Klimaauswirkungen und ein Anstieg von fossilem Strom im Gesamtsystem vermieden werden können. Entgegen dem Entwurf sehen wir die systemdienliche Elektrolyse höchstens kurzfristig als Entlastungsoption für das Stromnetz. Generell führt die Wasserstoffproduktion aber zu einem erhöhten Bedarf von Erneuerbaren – es kann somit den Stromnetzbedarfes nicht begrenzen und darf kein Grund sein, den dringend nötigen Ausbau des Netzes zu vernachlässigen.   

Positiv rechnen wir an, dass sich der Entwurf nicht auf grünen Wasserstoff beschränkt, sondern eine Offenheit gegenüber anderen emissionsarmen „Wasserstofffarben“ zeigt. In Anbetracht (1) noch begrenzter Erneuerbarer-Kapazitäten, (2) der enormen Herausforderung sowohl den Strommix an sich zu dekarbonisieren als auch zusätzlichen erneuerbaren Strom zur Wasserstoffproduktion zu produzieren und das (3) bei gleichzeitig enormen Wasserstoffbedarfen selbst nur für No-Regret-Sektoren, ist diese Offenheit nötig. Analog zur Produktion von elektrolytischem Wasserstoff darf eine solche Offenheit allerdings unter keinen Umständen ein Freifahrtschein für Wasserstoff aus fossilen Quellen werden. Vielmehr muss er bezogen auf die Produktionsmengen sinnvoll begrenzt bleiben und strengen Nachhaltigkeitskriterien folgen. Entsprechende Einschränkungen gilt es über die NWS hinaus – beispielsweise im Kontext der Carbon Management-Strategie – verbindlich zu definieren und deren Einhaltung streng und unabhängig zu überprüfen. Die Produktion von blauem Wasserstoff beispielsweise darf ausschließlich aus bereits erschlossenen Erdgasquellen mit sehr niedrigen Vorkettenemissionen und unter Einhaltung sehr hoher CO2-Abscheide- und Speicherraten gestattet werden. Eine gänzliche Versorgung mit Wasserstoff aus regenerativen Quellen muss angestrebt werden.  

Fazit 

Der Wortlaut der neuaufgelegten Nationalen Wasserstoffstrategie lässt eine Besinnung auf wesentliche und klimapolitische sinnvolle Wasserstoffanwendungen, Infrastruktur und Importmodalitäten an vielen Stellen erkennen. Der Text ist allerdings dennoch, wie erwartet, in negativem Sinne von jüngsten kontroversen politischen Debatten, wie dem Gebäudeenergiegesetz oder dem Einsatz von E-Fuels, geprägt. Nun kommt es vor allen Dingen auf die konkrete Ausgestaltung der Maßnahmen der NWS und darin referenzierter nachgelagerter Strategien und Gesetzesvorhaben, wie der Importstrategie, dem Konzept zu grünen Leitmärkten oder dem Wasserstoffbeschleunigungsgesetz, sowie deren Verzahnung an. Eine strikte Ausrichtung an Klimaschutz und Nachhaltigkeit, geleitet durch einen No-Regret-Anspruch, muss all diese Strategien, Konzepte und Gesetze verbinden.