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Nationale Wasserstoffstrategie 2.0: Schlüsselelement Additionalität

: Dezember 14, 2022

: Luisa Keßler

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) habe – wie aus aktuellen Medienberichten hervorgeht – beschlossen, die Nationale Wasserstoffstrategie (NWS) aus dem Jahr 2020 schon vor Ablauf der eigentlich angesetzten drei Jahre zu überarbeiten. Diese Initiative, die Bellona Deutschland grundsätzlich unterstützt, sollte einige Elemente unbedingt enthalten, um eine nachhaltige Wasserstoffwirtschaft aufzubauen. Die Fortschreibung sollte dem aktuellen Wasserstoffhype eine Besinnung auf die wesentlichen Bedarfsfelder entgegensetzen. Insbesondere entscheidende Details, wie beispielsweise zur Herkunft des zusätzlich benötigten Stroms für die Produktion von grünem Wasserstoff in Deutschland oder zu CO2-Grenzwerten für blauen Wasserstoff müssen zwingend aufgenommen werden. Wird hier geschludert, könnte die NWS 2.0 die Erreichung unserer Klimaschutzziele gefährden, anstatt uns diesen einen Schritt näher zu bringen. 

Wasserstoffeinsatz nur bei Alternativlosigkeit 

Wasserstoff sollte nur in jenen Bereichen eingesetzt werden, in denen eine direkte Elektrifizierung oder andere Dekarbonisierungsmaßnahmen nicht möglich sind. Denn große Energieverluste, die bei der Umwandlung von erneuerbarem Strom per Elektrolyse in Wasserstoff sowie entlang der darauffolgenden Transport- und Einsatzkette entstehen, sorgen für einen reduzierten systemischen und klimatischen Mehrwert. Eine Priorisierung des Wasserstoffeinsatzes auf gewisse Bedarfsfelder sollte unmissverständlich als übergeordnetes Leitmotiv hervorgehoben werden. Denn grüner Wasserstoff ist nicht unbegrenzt verfügbar: Angesichts der enormen Mengen an erneuerbarem Strom, die für die Herstellung benötigt werden, wird er in absehbarer Zukunft eine knappe Ressource bleiben.  

Der Grundsatz der Strategie sollte dem limitierten Angebot an erneuerbarem Wasserstoff gerecht werden und die Wasserstoffwirtschaft auf jene Bedarfsfelder beschränken, für die keine alternativen Dekarbonisierungspfade existieren.  

Grüner Wasserstoff nur mit Additionalität  

Bellona Deutschland begrüßt die schon im Koalitionsvertrag angekündigte Verdopplung des heimischen Elektrolyseziels von 5 auf mindestens 10 GW im Jahr 2030. Gleichzeitig sollte unbedingt einkalkuliert zu werden, dass derartige Elektrolyseausbauziele nur dann klimatisch sinnvoll sind, wenn das Prinzip der Additionalität gewahrt wird.  

Es bleibt zunächst zu hoffen, dass die aktuelle Festschreibung des Prinzips auf EU-Ebene im delegierten Rechtsakt zur Erneuerbaren-Energien-Richtlinie auch tatsächlich verankert wird. Jüngste Entwicklungen rund um den delegierten Rechtsakt zeugten jedoch von eher moderaten Ambitionen, die die Wirkung der Verordnung zu allem Überfluss zusätzlich durch lange Übergangszeiträume dezimieren würden. Lasche Nachhaltigkeitskriterien im delegierten Rechtsakt wären fatal für den Klimaschutz. Bellona fordert daher die Verankerung strikter Nachhaltigkeitskriterien; konkret Additionalität, kurze Übergangsfristen ohne „grandfathering“ (also die dauerhafte Befreiung von Nachhaltigkeitskriterien für Anlagen, die bis zu einem gewissen Zeitpunkt in Betrieb genommen wurden), sowie zeitliche (stündliche) und geographische Korrelation.  

Eine Verwässerung der Kriterien könnte auch außerhalb der EU verheerende Folgen haben. Denn, selbst die Nachhaltigkeitskriterien, die im Rahmen des H2Global-Mechanismus erfüllt werden müssen, werden anscheinend de facto nur so streng sein, wie es der delegierte Rechtsakt letztlich vorsieht. So geht in der Anfang Dezember veröffentlichten Ausschreibung für den Import von grünem Ammoniak aus dem Kleingedruckten hervor, dass die in Anlage 6.1.b (Dokument Los1_27d_ENG_HPA-Annex 6.1.b) definierten Kriterien für Additionalität nur dann greifen, wenn bis Abschluss des Teilnahmewettbewerbs keine weiteren einschlägigen delegierte Rechtsakte existieren oder eine Novellierung der RED II vorgenommen wurde. Gleiches gilt für die zeitliche und geographische Korrelation, welche dem im Mai veröffentlichten Entwurf des delegierten Rechtsaktes entsprechen. Andernfalls würden entsprechende Neuerungen den Produktanforderungen für grünen Wasserstoff und dessen Derivaten unverändert zugrunde gelegt werden (Dokument Los1_26_Leistungsbeschreibung). Wer etwas weiter im Dokumentendschungel gräbt, findet die voraussichtliche Frist zur Abgabe des Teilnahmeantrags, die erst für den 01.02.2023 datiert ist. Ein Ende des Teilnahmewettbewerbs scheint noch nicht datiert zu sein (Dokument Los_1_Bewerbungsbedingungen). Da es jedoch sehr wahrscheinlich ist, dass der delegierte Rechtsakt vor dem Ende des Teilnahmewettbewerbs erlassen wird, ist es nicht nur für eine nachhaltige Wasserstoffproduktion innerhalb der EU, sondern auch für eine nachhaltige globale Wasserstoffwirtschaft im Rahmen von H2Global unerlässlich, im delegierten Rechtsakt strenge Nachhaltigkeitskriterien festzulegen. 

Auch die deutsche Wasserstoffstrategie muss strikten Nachhaltigkeitskriterien, wie dem Prinzip der Additionalität, gerecht werden. Um eine Wasserstoffwirtschaft auf nachhaltige Weise hochzufahren, muss Silodenken unbedingt vermieden werden. Die Herstellung, der Transport und die Nutzung von Wasserstoff sollte in Kombination mit dem Ausbau der Erneuerbaren und des Stromnetzes systemisch gedacht werden. Bellona Deutschland fordert daher, die NWS so auszugestalten, dass der Hochlauf einer Wasserstoffwirtschaft auf einem Stromnetzausbau und Ausbau erneuerbarer Energien beruht, der über Ausbauziele hinausgeht, die alleine für die Energiewende erforderlich sind. Anderenfalls läuft die Bundesregierung Gefahr, durch den forcierten Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft die Energiewende zu kannibalisieren.   

Blauer Wasserstoff nur unter Einhaltung strenger CO2-Grenzwerte

Da dringend benötigter grüner Wasserstoff in der notwendigen Größenordnung erst mittelfristig zur Verfügung stehen wird, scheint die Bundesregierung in der NWS 2.0 einen dezidierteren Fokus auf blauen Wasserstoff als Übergangspfad zu legen. Die vorübergehende Nutzung blauen Wasserstoffs dürfte schon frühzeitiger dazu beitragen, die Verwendung von nicht-emissionsgemindertem Erdgas, also ohne nachgelagerte CO2-Abscheidung und -Speicherung, aus dem System zu verdrängen und Investitionen in Wasserstoffapplikationen fördern. Bellona befürwortet daher den Einsatz von blauem Wasserstoff als Schlüsselinstrument zur Dekarbonisierung – allerdings nur, sofern dieser strengen Umweltanforderungen gerecht wird.  

Damit blauer Wasserstoff die Dekarbonisierung erfolgreich vorantreiben kann, müssen Methanleckagen auf ein Minimum begrenzt und CO2-Abscheidungs- und Speicherungsraten maximiert werden. Diesem Zweck förderliche CO2-Grenzwerte müssen festgelegt werden und sich dabei zwingend auf die gesamte Wertschöpfungskette beziehen. Als Referenzwert sollte hier der in der EU-Taxonomie festgelegte Grenzwert von höchstens 3 tCO2-Äq/tH2 dienen. Im Entwurf zur Förderrichtlinie Klimaschutzverträge wie auch für Importe grüner Wasserstoffderivate im Rahmen von H2Global hat sich das BMWK bereits zu dem in der EU-Taxonomie festgelegten Grenzwert bekannt und sollte dies auch in der Fortschreibung der NWS sowie in der für das kommende Jahr angekündigten neuen Wasserstoff-Importstrategie tun. So könnte das Ministerium mitunter sicherstellen, dass Erdgas mit hohen Vorkettenemissionen, wie Erdgas aus Fracking, von der Wasserstoffproduktion ausgeschlossen ist und eine möglichst emissionsarme Erdgasnutzung und CO2-Verpressung verpflichtend wird. Den Import von blauem Wasserstoff als Übergangslösung zu fördern, dürfe also – sofern strikte Grenzwerte tatsächlich eingehalten werden – schneller zu Emissionsminderungen und wichtigen Infrastrukturinvestitionen in energieintensiven, aber nicht direktelektrifizierbaren Industrien führen.
 

„Good governance“-Standards

Weiterhin positiv ist das Vorhaben, „good governance“-Standards auf G7 oder G20-Ebene für einen Wasserstoffmarkthochlauf zu definieren. Insbesondere in Ländern, deren Bevölkerung aufgrund einer unzureichenden und unzuverlässigen Stromnetzinfrastruktur keinen oder keinen zuverlässigen Zugang zu Elektrizität hat, und deren Strommix bis dato von fossilen Energieträgern dominiert wird, bleibt fraglich, wie konkret die Bundesregierung sicherstellen will, dass die für den Export nach Deutschland bestimmte Produktion von grünem Wasserstoff beziehungsweise dessen Derivaten die dortige Energiewende nicht kannibalisiert. Mögliche Auswirkungen auf die jeweilige nationale Energiewende in Exportländern und angegliederte Umweltauswirkungen müssen zwingend einkalkuliert werden. Konkretere Forderungen und offenen Fragen zu Deutschlands Wasserstoffdiplomatie hat Bellona kürzlich in Rahmen der H2Global – Market Konsultation formuliert.  

Fazit

Die Fortschreibung der NWS bietet der Bundesregierung die Möglichkeit, den aktuellen Wasserstoffhype abzuschwächen und eine Besinnung auf die wesentlichen und klimapolitisch tatsächlich sinnvollen Anwendungen zu erreichen. Der Erfolg der NWS 2.0 steht und fällt mit einem klaren Bekenntnis zur Additionalität.

Darüber hinaus fordert Bellona Deutschland eindeutige und ehrgeizige Kriterien für die konkrete Ausgestaltung der CO2-Grenzwerte, der Carbon Management Strategie, sowie von Förderinstrumenten und internationalen „good governance“ Standards.