Verhandlungsdokumente aus den Koalitionsverhandlungen zwischen CDU/CSU und SPD geben Einblick in die klima- und energiepolitischen Weichenstellungen der möglichen Koalition. Die geplanten Maßnahmen u.a. in den Bereichen Emissionshandel, Energiepolitik und Carbon Management werfen Fragen auf: Reichen die Vorschläge aus, um die Klimaschutzziele zu erreichen oder drohen Rückschritte? Wir ordnen ein!
Die Analyse bezieht sich auf durchgesickerte Dokumente der folgenden Arbeitsgruppen: AG2 – Wirtschaft, Industrie und Tourismus; AG4 – Verkehr und Infrastruktur, Bauen und Wohnen; AG11 – Ländliche Räume, Landwirtschaft, Ernährung und Umwelt; und AG15 – Klima und Energie.
Klimaschutz
Anrechnung von CO2-Reduktionszertifikaten im ETS und KSG:
Der vorgeschlagene Mechanismus zur Anrechenbarkeit von Emissionsreduktionszertifikaten auf noch undefinierte Restemissionen aus Partnerländern innerhalb und außerhalb der EU würde den europäischen und deutschen Klimaschutz massiv abschwächen. Die zentralen Steuerungsmechanismen für den Klimaschutz – insbesondere der CO₂-Preis im ETS – würden an Wirksamkeit verlieren, da die BRD und Unternehmen günstige Zertifikate zukaufen könnten, anstatt in echte Emissionsreduktionen zu investieren. Dies würde Klimaschutzmaßnahmen in Deutschland verteuern und die Lenkungswirkung des CO₂-Preises untergraben.
Zudem würde die Unbestimmtheit des Begriffs „Restemissionen“ dazu führen, dass vergleichsweise teure Emissionsminderungen als Restemissionen deklariert werden könnten. Dies würde das zentrale Klimaschutzziel – die konsequente Emissionsreduktion – unterlaufen und die deutschen Klimaziele, einschließlich der Klimaneutralität bis 2045 und Netto-Negativemissionen nach 2050, aushöhlen.
Deutschland verfügt über die finanziellen, technologischen und gesellschaftlichen Ressourcen, um effektiven Klimaschutz inkl. Emissionsreduktion,- vermeidung und CO2-Entnahmen eigenständig umzusetzen. Es sollte seiner internationalen Verantwortung und Vorreiterrolle gerecht werden, um damit den notwendigen Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft zu gestalten.
Emissionshandel:
Die Erwähnung der Integration von Negativemissionen in den ETS1 im Koalitionsvertrag ist verfrüht, da die Diskussion noch nicht ausgereift ist. Die EU-Klimapolitik hat bislang nicht geklärt, wie CO₂-Entnahme angereizt und reguliert werden soll. Statt sich auf eine ETS-Integration zu beschränken, sollten alle Optionen offenbleiben, einschließlich Verpflichtungen in der Lastenteilungs-Verordnung oder eines parallelen Marktes für den CDR-Handel (siehe CO2-Entnahme-Politik breiter diskutieren).
Energiepolitik
Erdgasförderung:
Die geplante Nutzung der Potenziale konventioneller Gasförderung im Inland wäre klimapolitisch unverantwortlich. Nicht zuletzt dürfte eine solche Erschließung ohnehin so lange dauern, dass dies nicht mehr mit den Klimazielen vereinbar wäre.
Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung:
Der Verzicht auf naturschutzrechtlichen Ausgleich und die Einschränkung von Verbandsklagerechten in Deutschland und auf EU-Ebene etwa bei Energiewendeprojekten sind in der vorgeschlagenen Form skandalös, unverhältnismäßig und umweltpolitisch sowie rechtsstaatlich höchst bedenklich.
Netze:
Eine Reduzierung des Netzausbaus wäre ein falsches Signal, da fehlende Netzanschlüsse und mangelnde Kapazitäten Unternehmen bereits jetzt von dringend notwendiger Elektrifizierung abhalten. Der Netzausbau muss auf die erforderlichen Kapazitäten für eine klimaneutrale Zukunft ausgerichtet sein und sich nicht einem temporären Hinterherhinken der Elektrifizierung anpassen. Zudem führen die aktuellen Engpässe bereits zu hohen Kosten, etwa durch Redispatch-Maßnahmen, denen einerseits durch einen ambitionierten Netzausbau und andererseits durch eine offene und wissenschaftlich fundierte Diskussion über die Strompreiszoneneinteilung begegnet werden sollte.
Kraftwerksstrategie:
Es bleibt fraglich, wie ein technologieoffener Kapazitätsmechanismus mit einem vorgeschriebenen Ausbau von 20 GW neuer Gaskraftwerke in Einklang gebracht werden kann – hier scheint ein Widerspruch zu bestehen. Unklar ist auch, ob dieser Ansatz nicht durch eine Neubewertung der EU-Kommission zu erheblichen Verzögerungen führen würde und daher bereits jetzt zu wenig erfolgversprechend ist, um ihn im Koalitionsvertrag festzuschreiben. Grundsätzlich begrüßen wir jedoch einen breiteren Ansatz des Kapazitätsmechanismus, der nicht ausschließlich auf Gaskraftwerke fokussiert ist.
Zudem stellt sich die Frage, ob Reservekraftwerke zur Stabilisierung des Strompreises – womit die wohl insbesondere Kohlekraftwerke gemeint sein dürften, die mit Subventionen in Bereitschaft gehalten werden – nicht den Markt zusätzlich verzerren würde. Stattdessen sollten die Lösungen mehr auf den Ausbau von Speichern und Netzen fokussiert werden, anstatt für das „Zurückdrehen“ des Kohleausstiegs zusätzliche öffentliche Gelder zu investieren.
CCS/CCU:
Die Anwendung von CCS (Carbon Capture and Storage) in der Industrie sollte dabei klar vom Einsatz im Stromsystem getrennt betrachtet werden, auch wenn es in einigen Fällen, wie etwa bei Gaskraftwerken in Industrieparks, zu Überschneidungen kommen kann. Der zentrale Grund dafür liegt im ungleichen Wert, den CCS in diesen beiden Bereichen hat. In der Industrie spielt CCS eine entscheidende Rolle bei der Reduktion technisch nicht zu vermeidender prozessbedingter Emissionen, z. B. bei der Kalkherstellung, sowie bei mangelhaft verfügbaren Alternativen auch bei anderen schwer vermeidbaren Emissionen, z. B. in der Chemieindustrie und auch bei der Stahlerzeugung. Dass CCS für letztere auch als Dekarbonisierungsoption ermöglicht werden soll, ist angesichts der auch auf der Wasserstoffroute noch auftretenden Restemissionen grundsätzlich zu begrüßen. Weitere Informationen zur begrenzten Rolle von CCS in den verschiedenen Stahlerzeugungspfaden finden Sie ausführlich erläutert in unserem Stahl-Report.
CCS-Projekte im Stromsektor bergen jedoch das Risiko fossiler Lock-in-Effekte, die den Übergang zu einem primär auf den erneuerbaren Energien basierenden Energiesystem behindern könnten. Angesichts der knappen öffentlichen Mittel und der mittelfristig begrenzten CO₂-Injektionskapazitäten in Europa sollte CCS in den kommenden Jahren primär für tatsächlich schwer vermeidbare Emissionen genutzt werden. In jedem Fall ist klar, dass CCS keine universell einsetzbare „Silver Bullet“ ist, die sämtliche Probleme der Industrietransformation zur Klimaneutralität und des Stromsystems löst. Mindestens eine Förderung von CCS an Gaskraftwerken zur Stromproduktion sollte daher ausgeschlossen werden, um die Ressourcen effizienter auf die wichtigsten Einsatzfelder zu konzentrieren.
Die Pläne, CCS unterschiedslos für alle Industriebranchen zu ermöglichen, werfen vor allem finanzierungspolitische Fragen auf. CCS-Projekte sind mittelfristig auf öffentliche Fördermittel angewiesen, da sie sich nicht alleine durch den ETS-Differenzpreis tragen. Angesichts der knappen öffentlichen Mittel wäre eine allgemeine Förderung aller Branchen jedoch ineffektiv und würde wahrscheinlich dazu führen, dass CCS in vielen Bereichen gar nicht umgesetzt wird. Eine selektive Förderung, die die Sektoren priorisiert, in denen CCS die beste oder einzige realistisch verfügbare Option zur Reduktion schwer vermeidbarer Emissionen darstellt (siehe CCS Leiter), ist daher eine gute Möglichkeit CCS zielgerichtet umzusetzen – ohne die Notwendigkeit ordnungspolitischer Interventionen im Sinne einer abschließenden Liste zulässiger Anwendungen.
Für einen fokussierten Einsatz spricht auch, dass die verfügbare geologische Injektionskapazität für CO₂ mindestens bis Mitte der 2030er-Jahre begrenzt ist. Wie begrüßen daher die Planung von CO₂-Speichern in der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) und auf dem Festlandsockel. Allerdings vermissen wir eine Berücksichtigung von Naturschutzaspekten, insbesondere angesichts der ohnehin hohen Beanspruchung der Nordsee durch verschiedene wirtschaftliche Aktivitäten. Der Schutz der Meeresökosysteme erfordert u. a. eine synergetische Meeresraumplanung künftiger CO2-Speicherstätten im Zusammenhang mit dem Ausbau der Offshore-Windenergie. Daher ist eine die Nordsee mittelfristig entlastende Onshore-Länderöffnungsklausel positiv zu bewerten. Es muss jedoch darauf geachtet werden, dass die dabei erwähnte Akzeptanz für CCS kein Feigenblatt für eine weniger ambitionierte Transformationspolitik in der Industrie wird.
Im Zusammenhang mit der Anwendung von CCS und CCU irritiert die Erwähnung von Direct Air Capture (DAC) – einer Technologie zur Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre, die zu unterscheiden ist von der Reduktion der Emissionen einer CO2-Punktquelle mit CCS. Global spielt DACCS eine Rolle zur Erzielung von Negativemissionen. Die Technologie wird jedoch aufgrund ihrer enormen Energiebedarfe in Deutschland kaum zur Anwendung kommen. Grund dafür ist die auch langfristig begrenzt verfügbare erneuerbare Energien, die prioritär für andere klimapolitisch wichtige Ansätze, wie die Direktelektrifizierung der Industrie, benötigt wird.
Zuletzt ist auch die in den Ergebnissen der Verhandlungen suggerierte Gleichsetzung von Carbon Capture and Utilization (CCU) und CCS aus klimapolitischer Perspektive problematisch. Insbesondere der enorme Energiebedarf für die Nutzung von CO₂ macht CCU nur dann sinnvoll, wenn dieser Energiebedarf weitgehend durch erneuerbare Energien gedeckt ist. Auch die notwendige Permanenz der Speicherung in Produkten ist für die zumeist diskutierten CCU-Anwendungsfälle fraglich. Langfristig kann CCU jedoch in einer klimaneutralen Wirtschaft eine Rolle spielen, insbesondere dort, wo CO₂ weiterhin als Rohstoff benötigt wird – etwa in der Chemie oder im Luftverkehr zur Herstellung nachhaltiger Flugkraftstoffe (SAFs). Wichtig ist hierbei, dass CCU nur unter strengen Auflagen (100% erneuerbare Energie; strikte Differenzierung der Kohlenstoffquellen) und mit einer überprüfbaren Kohlenstoffbilanzierung eingesetzt wird. Bis diese Kriterien umgesetzt sind sollte es jedoch nicht heißen: CCU ist gleich CCS. Mehr dazu hier.
Wasserstoff:
Die unbedingt notwendige, gezielte Nutzung des begrenzt verfügbaren Wasserstoffs sollte dringend Erwähnung finden. Angesichts der begrenzten Ressourcen muss sichergestellt werden, dass Wasserstoff dort eingesetzt wird, wo er den größten Beitrag zur Dekarbonisierung leisten kann, anstatt ihn in weniger effizienten Anwendungen zu verschwenden.
Die Formulierung der vorläufigen Verhandlungsergebnisse lässt befürchten, dass sich die Bundesregierung explizit für eine Neuverhandlung und Verwässerung des RFNBO Delegierten Rechtsaktes zur Erneuerbare-Energien-Richtlinie auf EU-Ebene einsetzen will. Dies wäre jedoch äußerst kontraproduktiv, da Planungssicherheit für den schnellen Hochlauf einer Wasserstoffwirtschaft und die Dekarbonisierung relevanter Industrieprozesse von zentraler Bedeutung ist. Eine Neuverhandlung des bereits lange verhandelten und rechtlich verankerten Rechtsaktes würde die Planungssicherheit gefährden und die klimapolitisch notwendigen strengen Erzeugungskriterien verwässern.
Die angekündigte Einführung einer Grüngasquote kann nur unter eng abgesteckten Umständen tatsächlich zum Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft beitragen. Wie eine Grüngasquote ausgestaltet sein müsste, damit sie nicht transformationshemmend wirkt, haben wir hier ausführlich erläutert. Um den Hochlauf einer nachhaltigen Wasserstoffwirtschaft und andere wichtige Umstellungsschritte anzureizen, halten wir insbesondere Klimaschutzverträge für ein zentrales und geeignetes Instrument. Den Vorschlag einer Chemieagenda 2045 begrüßen wir ausdrücklich und regen an, diese in einem Stakeholderprozess mit Industrie, Forschung und Zivilgesellschaft zu erarbeiten.
Leitmärkte:
Die Einführung von Leitmärkten, die bisher nur im Kontext des Wasserstoffhochlaufs Erwähnung findet, ist ein wichtiger Schritt, benötigt jedoch eine stärkere Konkretisierung, verbindliche Regeln und eine breitere Sektorabdeckung. Es sollte auf das Vergabetransformationspaket und die AVV Klima eingegangen werden, die für klimafreundliche öffentliche Beschaffungen zentral sind. Die Verbindlichkeit der vergaberechtlichen Vorgaben muss klarer betont werden, um sicherzustellen, dass klimaneutrale Produkte tatsächlich bevorzugt werden. Neben Stahl sollten auch Zement und die chemische Industrie explizit berücksichtigt werden, da sie ebenfalls energieintensiv und emissionsintensiv sind. Zudem sollte die Nutzung und Weiterentwicklung bestehender Nachhaltigkeitslabels wie LESS (Stahl) und CCC (Zement) in Betracht gezogen werden, um die Markteinführung klimaneutraler Produkte zu fördern.
Wärme
Gebäudeenergiegesetz (GEG):
Das GEG könnte sicherlich entschlackt werden, aber eine vollständige Abschaffung oder auch nur eine Abschaffung zentraler Punkte des GEG kann nicht ernsthaft im Interesse einer künftigen Bundesregierung sein, die die Einhaltung unserer Klimaziele erstnehmen will. Eine zumindest äußerst fragwürdige Medienkampagne gegen die GEG-Novelle in der letzten Legislatur hat Verbraucher:innen bereits zu Genüge verunsichert. Klimapolitisch sinnvolle Leitplanken für eine dringend nötig Wärmewende müssen dringend beibehalten werden.
Gasnetze:
Der Erhalt der Gasnetze ist weder wirtschafts- noch klimapolitisch sinnvoll und darf unter keinen Umständen in einem Koalitionsvertrag einer Regierung stehen, die dieses Land ernsthaft voranbringen und transformieren will. Die Gasnetzinfrastruktur muss für eine klimaneutrale Zukunft in erheblichem Maße stillgelegt und in Teilen umgebaut werden. Ein Bekenntnis zum Erhalt der Gasnetze in seiner jetzigen Form wäre eine Farce.
Planungssicherheit und Verbraucher:
Die neue Regierung muss ein klares Bekenntnis zum Klimaschutz im Verbraucherbereich abgeben. Dazu gehört, sich entschieden für Elektroautos und energetische Sanierungen ohne Gas auszusprechen, um den deutschen Wirtschaftsstandort für zukunftsfähige Technologien wie Wärmepumpen und die damit verbundenen Arbeitsplätze attraktiv zu halten. Mit einer klaren Unterstützung und Sicherheit für Konsumenten können enorme private Investitionen in Industrie und Handwerk, insbesondere im Gebäudebereich, angestoßen werden. Dies sollte durch finanzielle Vorteile für Verbraucher, wie die bereits angekündigte Senkung der Stromsteuer, ergänzt werden.